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Wahrnehmungsfehler in der Führung

25.05.2022

Irren ist menschlich (Seneca)

Unser Arbeitsalltag dreht sich um Menschen: Kunden, Lieferanten, Führungskräfte, Kollegen und Mitarbeitende. Nahezu kein Unternehmen kommt ohne menschlichen Kontakt aus und diese Beziehungen und Interaktionen haben grossen Einfluss auf unseren Erfolg.

In wahrscheinlich keiner (geschäftlichen) Beziehung steckt dabei so viel Potential, wie in jener zwischen Führungskräften und Mitarbeitenden. Gute Führungskräfte sind ein Multiplikator für die Leistung und Motivation ihrer Mitarbeitenden, während schlechte Führungskräfte auch das letzte bisschen Motivation vernichten können.

Eine grosse Herausforderung in diesem Zusammenspiel ist Objektivität, beziehungsweise deren Mangel: Wir sind keine Maschinen und haben deshalb Mühe, nicht von unseren eigenen Erfahrungen und Emotionen auf andere zu schliessen. Wird man sich dessen aber bewusst, so hat man ein einen grossen Vorteil in der Führungsarbeit.

Aus diesem Grund sprechen wir heute über «Cognitive Bias» oder kognitive Verzerrung im Führungsalltag.

Was ist ein «Cognitive Bias»?

Unser Gehirn ist wunderbar komplex und unterscheidet uns von anderen Tieren – gleichzeitig wäre es schnell überfordert, wenn es in allen komplexen Situationen des Alltags bewusste Entscheidungen treffen müsste. Aus diesem Grund hat unser Hirn ein System, um unbewusst, «aus dem Bauch heraus» zu entscheiden. In 99% der Fälle ist das auch kein Problem, weil die Folgen einer «falschen» Entscheidung klein sind:

Beispielsweise kann es sein, dass wir immer denselben Weg zur Bushaltestelle gehen, obwohl es einen schnelleren Weg gäbe. Weil wir uns aber an den Weg gewöhnt haben, werden wir ihn unbewusst immer wieder einschlagen.

In einer längerfristigen Beziehung, wie jener zwischen Führungskraft und Mitarbeitenden, können sich diese «Fehler» addieren und zu Konflikten führen. Das passiert uns allen täglich und gerade deshalb müssen wir uns diesen Umstand bewusst machen. In diesem Artikel möchten wir zwei solche Beispiele aufzeigen und wie wir mit diesen umgehen können.

Bestätigungsfehler (Confirmation Bias)

Wir bevorzugen Informationen, die uns, unsere Ansichten und Entscheidungen bestätigen.

Kurzfristig kann das dazu führen, dass wir selbstständig denkende Mitarbeitende demotivieren, indem wir ihre Vorschläge ablehnen, weil wir selbst eine andere Meinung haben. Langfristig werden wir uns automatisch mit Menschen umgeben, die gleich denken wie wir oder wenigstens so tun als ob. Wir vermindern Innovation und kritisches Denken, mit der Folge, dass wir geschäftlich stehen bleiben.

Zwei Beispiele, wie historisch mit diesem Problem umgegangen wurde, sind Memento Mori und Advocatus Diaboli:

Bei Memento Mori handelt es sich um eine römische Tradition: Neben erfolgreichen römischen Feldherren wurde bei ihrem Triumphzug ein Staatssklave platziert, welcher die Rolle hatte, den Feldherrn an seine Menschlichkeit zu erinnern:

Memento mori. (Bedenke, dass du sterben wirst.)
Memento te hominem esse. (Bedenke, dass du ein Mensch bist.)
Respice post te, hominem te esse memento. (Sieh dich um und bedenke, dass auch du nur ein Mensch bist.)

Der Advocatus Diaboli hatte in der katholischen Kirche die Aufgabe, bei einer geplanten Heiligsprechung die Gründe aufzuzeigen, welche gegen diese sprachen. Das Ziel: Die «Wahrheit» zu finden und alle Aspekte zu berücksichtigen.

Im übertragenen Sinne nehmen diese wichtige Rolle Mitarbeitende ein, welche uns hinterfragen und Alternativen aufzeigen. Es mag anstrengend oder sogar ärgerlich sein – letztendlich sind sie aber unverzichtbar und wertvoll. Umgebt euch als Führungskräfte mit Mitarbeitenden, welche gewillt und in der Lage sind, euch vorwärtszubringen.

Verlustaversion (Loss Aversion)

Diese Wahrnehmungsverzerrung ist eine Schweizer Spezialität: Wir gewichten Verluste höher als Gewinne. Denn je besser es uns geht, desto mehr Angst haben wir, unseren Wohlstand zu verlieren.

Dieser Effekt führt auch dazu, dass erfolgreiche Unternehmen meist an Innovationskraft verlieren und lieber ihre Erfolge verwalten. Ziele sind so ausgelegt, dass sicher kein Verlust entsteht. Mitarbeitende werden angehalten alle Entscheidungen tausendfach zu überprüfen und mit Business Cases zu hinterlegen. Verantwortung wird nicht mehr gerne übernommen, weil vor allem die negativen Folgen davon gespürt werden.

Wie lässt sich das verhindern? Einerseits indem bewusste Risiken und daraus folgende Fehler nicht bestraft werden. Eine gute Fehlerkultur ist essenziell, um die geschäftliche Weiterentwicklung sicherzustellen.

Ein Unternehmen, welcher diese Einstellung im Arbeitsalltag lebt, ist Skyguide: Fluglotsen müssen Fehler jederzeit melden können – ohne Angst vor Konsequenzen. Aber: Diese Kultur steht unter Druck, nachdem im Jahr 2019 ein Fluglotse zuerst vom Obergericht schuldig gesprochen wurde, bevor das Bundesgericht ihn freisprach. Die Sorge aufgrund dieser erstinstanzlichen Verurteilung: Fluglotsen werden zukünftig Beinahe-Kollisionen nicht mehr melden, um sich selbst zu schützen.

Ein zweites, positives Beispiel sind «Fuckup Nights», wo ganz offen über Fehler und Misserfolge gesprochen wird, mit dem Ziel, aus den Fehlern anderer zu lernen. Solche Anlässe nehmen in der StartUp-Szene immer mehr zu und sind sehr beliebt und befreiend. Sie können aber auch in etablierten Unternehmen helfen, eine Fehlerkultur zu fördern.

Selbstreflexion im Alltag

Das waren nur zwei Beispiele von Bias, die unsere Objektivität einschränken können. Es gibt dutzende mehr und sie alle haben gemeinsam, dass wir sie uns bewusst machen müssen, bevor wir etwas dagegen unternehmen können.

Wir, Mitarbeitende und Führungskräfte, müssen unsere Entscheidungen dafür regelmässig reflektieren. Eine gute Möglichkeit dafür bieten Buddy-Systeme oder Erfahrungsgruppen, bei denen sich Gleichgestellte gegenseitig Feedback geben und Spiegel vorhalten.

Doch auch im Umgang mit Mitarbeitenden können wir diese Erfahrungen umsetzen: Wir müssen konstruktiv kritische Mitarbeitende fördern, andere Meinungen wahrnehmen und zulassen, sowie Mitarbeitende ermutigen, bewusst Risiken einzugehen. So erreichen wir gemeinsam neue Höhen und verbessern uns selbst.